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  • Beitrag veröffentlicht:20. Februar 2022
  • Beitrags-Kommentare:3 Kommentare
  • Lesedauer:4 Min. Lesezeit

Zufällig durfte ich diese Woche im Vorbeigehen einem Gespräch zwischen Vater und Tochter lauschen. Nach der Schule wollte sie sich mit Freunden verabreden, die Sonne genießen, draußen sein. Die Antwort des Vaters war: das kannst du machen. Aber erst, wenn du mit allem anderen fertig bist. Mich hat das sehr zum Nachdenken gebracht. Warum können wir Dinge, die wir machen wollen und auf die wir jetzt gerade richtig Lust haben, nicht sofort machen? Warum geht ein Sonnenspaziergang nur in der Mittagspause, der Nachtisch nur nach dem Essen und das Spielen mit Freunden erst nach den Hausaufgaben? Und was ist, wenn ich das dann später gar nicht mehr möchte?

Es gibt zahlreiche Lebensregeln, die ich leider nie verstanden habe und auch nicht weiß, ob ich sie je verstehen werde. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen ist definitiv eine davon. Gebeugt habe ich mich ihnen trotzdem. Die ungeschriebenen Regeln werden nämlich von Generation zu Generation weitergegeben und man muss schon verdammt gefestigt sein in seiner kleinen Kinderpersönlichkeit, damit sie keine Chance haben, abzufärben. Das Schlimme daran ist, dass wir es irgendwann gar nicht mehr hinterfragen und einfach folgen. Bei mir ging das so weit, dass ich als Kind und sogar später als Erwachsene beim Kuchenessen immer zuerst den Rand und den Boden gegessen habe, der mir meist nicht geschmeckt hat, und erst zum Schluss die leckere Füllung. Weil ja schließlich alles zum Kuchen dazugehört, man sich nicht nur die Rosinen des Lebens herauspicken kann und der weniger schöne Teil oder die harte Arbeit immer vor der Belohnung kommt.

Wir können das auf sämtliche Lebensbereiche übertragen. Ob wir uns selbst dazu zwingen, Gemüse zu essen, Sport zu treiben oder zu putzen, obwohl wir dazu gar keine Lust haben oder unser Kind dafür belohnen, wenn es den Tisch deckt, den Müll herunterbringt oder seine Hausaufgaben macht, auch wenn es schon hundertmal Nein gesagt hat und viel lieber andere Dinge machen möchte. Weil es eben dazugehört. Wir brechen unsere innere Freude so oft bis der Kompass unseres Herzens es einfach aufgibt, uns Signale zu schicken. Wir geben dem ja eh nicht nach, wenn es nicht die richtige Tages- oder Jahreszeit ist, die Fitness App nicht ihr Okay gegeben hat oder es aus unserem erlernten Muster herausfällt. Wie wäre es, wenn wir wieder Vertrauen entwickeln zu unserem Körper und unserem sehr intelligenten inneren System, das uns einlädt, der Freude zu folgen. Wir werden überrascht sein zu sehen, dass es Tage gibt, an denen wir tatsächlich Lust haben, Salat zu essen – völlig ungezwungen und unabhängig von der Gesund-essen E-Mail, die wir jeden Tag bekommen. Dass es Momente gibt, in denen wir richtig motiviert sind, zu arbeiten und sich alles fast wie von allein erledigt. Dass unsere Kinder gerne im Haushalt mithelfen, wenn sie entscheiden dürfen, wann es der richtige Moment ist. Und dass es tatsächlich gar nicht so schlimm ist, wenn die Schulhefte mal ein paar Tage lang keine Aufmerksamkeit bekommen.

So lade ich uns alle ein zu einer Woche, in der wir der Freude folgen und immer genau das machen, worauf wir gerade Lust haben. Vielleicht blicken wir dann weniger sehnsuchtsvoll in eine Zukunft, in der wir uns für all die anstrengenden, harten Momente des Lebens belohnen müssen, die wir durchgestanden haben. Denn dann ist nicht nur die Sofazeit mit Schokolade am Abend Genuss des Lebens, sondern auch jeder einzelne Augenblick auf dem Weg dahin.

Meine Impulse für dich:

# Ignoriere deinen Verstand, der dir jetzt tausend Gründe aufzählt, warum es garantiert nicht geht, nur der Freude zu folgen.

# Ignoriere ihn weiter 😊 und probiere es aus. Vielleicht wird alles ja ganz anders als du denkst.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Werner

    Alles gut und schön, aber meine Generation hat es zum Teil „eingebläut“ bekommen, es kommt so leicht nicht mehr aus dem Kopf. Es besteht aber schon Hoffnung, es ist nicht mehr so sklavisch wie früher. Eine gewisse Grundhaltung zu wichtigen Dingen ist meiner Meinung nach, doch unabdingbar. Das Leben verlangt heut von den Kindern so viel, ich wüsste nicht, ob ich es noch einmal so packen würde. Schön, wer es seinen Kindern ermöglicht, mal alle Fünfe grade sein zu lassen, es ist eine meist schwierige Entscheidung.

    1. Marlen Wagner

      Lieber Werner, ich danke dir für sehr deine Worte! Du hast vollkommen recht und so trägt jeder Schritt einer jeden Generation dazu bei, dass sich das Restriktive immer mehr weiten darf. Und die Schritte deiner Generation haben den Grundstein gelegt für unsere Flügel, die wir wiederum unseren Kindern nun mit auf den Weg geben können. Dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit!
      Vielleicht hast du einmal Lust in die „wichtigen Dinge“ hineinzuspüren, zu denen – wie du schreibst- eine gewisse Grundhaltung unabdingbar ist. Sind sie für dich wichtig, kommen sie aus deinem Herzen und entsprechen deinen inneren Werten oder wurde dir ganz oft erzählt, dass sie wichtig sind oder man sie wichtig finden muss? Das kann eventuell ganz interessant sein.
      Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe und Gute!
      Marlen

  2. Werner

    Liebe Marlen, die gewisse Grundhaltung, sie entspringt einfach der Erziehung und der damit einhergehenden „Vernunft“. Ein Ausbrechen ist sehr schwer möglich, immer spielt das Unterbewusstsein mit, ja, es drängelt sich vor. Dagengen anzukämpfen ist wahrlich nicht leicht und gelingt so gut wie nie – immer kommt der Gedanke, was wäre wenn. Meine Kindheit war schon so geprägt, das ich eigentlich nie etwas getan habe, wozu ander sagen, mal richtig die Sau rauslassen. Unüberlegten kindlichen Unsinn mal außen vor gelassen. Aber, die Gedanken sind frei, zum Glück. Einen schönen Sonntag noch im Kreise deiner lieben Familie. Eine schöne Woche für euch alle, lieber Gruß und alles erdenklich Gut, herzlichst, Werner

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