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  • Beitrag veröffentlicht:24. April 2022
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Ich habe das große Glück, in meiner Arbeit junge Menschen ein Stück ihres Weges begleiten zu dürfen. Sie erzählen mir in Beratungsgesprächen, was sie sich für ihre Ausbildungszeit in unserem Haus wünschen, welche Träume und Visionen sie haben und welche Einsatzorte sie sich auf der ganzen Welt vorstellen können, um einen Einblick in die praktischen Tätigkeiten zu bekommen. Ich empfinde es als sehr große Ehre, dass sie das alles mit mir teilen und liebe es, darüber mit ihnen zu sprechen.

Wir haben in den letzten Jahren einen großen Fundus an Erfahrungsberichten von den jungen Menschen gesammelt, die zu uns gekommen sind und sich dazu entschieden haben, für ihre Träume weit über den Tellerrand hinauszublicken. Sie sollen Mut machen, Hoffnung geben, die Zuversicht schenken, dass alles möglich ist. Und das machen sie auch, wenn sie von dem Lesenden als eine mögliche Realität verstanden werden, die wichtige Hinweise gibt, nicht jedoch absolut ist. Es gibt viele Informationen, die nützlich sind, Erfahrungen, die man nicht noch einmal in Frage stellen muss, sondern dankbar dafür sein kann, aus dem Erlebten eines anderen lernen zu dürfen. Es gibt jedoch auch Schilderungen, die aus der subjektiven Wahrnehmung eines Einzelnen entstanden sind. Von diesen gilt es, sich nicht entmutigen zu lassen. Als ich das so in meinem Beratungsgespräch an die Teilnehmenden weitergegeben habe, habe ich mich gefragt, wie oft mich Erfahrungen anderer in meinem Denken, Handeln und damit wahrscheinlich auch in meinem Erleben beeinflussen.

Wir alle dürften damit übereinstimmen, dass es tatsächlich sinnvoll ist, uns über gewisse Dinge im Vorfeld zu informieren, um Überraschungen und vielleicht sogar Gefahren zu vermeiden. Wo verlaufen die Stromkabel in der Wand, wenn ich ein Loch bohren möchte, welche Utensilien sollten in einem Campingurlaub nicht fehlen, um es einigermaßen bequem zu haben. Hier sind Erfahrungswerte eindeutig sinnvoll, damit es gelingen kann. Wie sieht es jedoch damit aus, wenn mir andere Menschen ihre negativen Erlebnisse mit meinen Nachbarn schildern, um mich vor ihnen zu warnen? Einschätzungen über die Stärken und Schwächen meiner neuen Kollegin und dem Rat, lieber nicht mehr in der heutigen Zeit ohne eine Rechtschutzversicherung zu leben? Ich habe festgestellt, dass ich im ersten Moment sehr leicht durch solche Informationen zu beeinflussen bin. Ich muss tatsächlich für einen kurzen Moment innehalten und mich selbst in der Bewertung, die ich erst einmal sang- und klanglos übernommen habe, ertappen, um sie wieder in Frage zu stellen. Halt, stopp, warte mal, ist das wirklich so? Und gilt das auch für mich?

Wenn ich das tue und mich darauf einlasse, dass es für mich vielleicht auch ganz anders sein könnte, habe ich schon so manche Überraschung erlebt. Der Nachbar war sehr nett und wirklich hilfsbereit. Meine Kollegin war nicht unkollegial, sondern nur im ersten Moment überfordert mit der großen Menge an neuen Informationen und bringt sich gerne in unsere Teamprozesse ein. Und ja, bisher bilden sich noch keine Angstknoten in meinem Bauch, auch ohne die ein oder andere Zusatzversicherung. Unsere Wahrnehmung und unser Erleben ist gefärbt von unserer Vergangenheit, unserer Persönlichkeit, Emotionen, Rastern in unserem Kopf und so vielem mehr. Das ist keine Bewertung, sondern einfach gut zu wissen finde ich. Dann kann man auf Tipps manchmal so reagieren, wie das meine Tochter gerne macht: Danke, Mama, das ist gut zu wissen, ich probiere es trotzdem nochmal aus. So wie ich das will.

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